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                       "Rudelführer contra Leitfigur"

 

Wenn man Bücher über Hundeerziehung liest, wird sehr oft darauf verwiesen, dass die grundlegenden Verhaltensweisen des Hundes auf den Wolf zurückgehen. Auf den ersten Blick scheint das ganz plausibel zu sein, denn der genetische Code von Wölfen und Hunden ist zu 99,96% identisch. Stimmt also die gängige Meinung: verstehe ich das Verhalten der Wölfe, dann verstehe ich auch das Verhalten von Hunden ?

 

Von einer DNA-Gleichheit auf eine Gleichheit des Verhaltens zu schließen ist allerdings nicht zulässig. Aus  der Forschung über Menschenaffen weiß man, dass winzige Änderungen in der DNA zu großen Veränderungen im Verhalten führen können.

 

Entscheidend ist allerdings ein anderer Punkt. Bis heute sind viele Elemente in der Hundeerziehung auf Missverständnisse in der  Wolfsforschung der 1960-er und  1970-er Jahre zurückzuführen. Man behauptete damals folgendes: Jedes Wolfsrudel wird von einem dominanten "Alphapaar" als "Rudelführer" aggressiv beherrscht Jeder Wolf hat einen ganz bestimmten Platz  im Rudel, den er/sie  mit allen Mitteln verteidigen muss ("Rudelhierarchie"). Im günstigsten Fall kann ein Rudelmitglied durch entsprechend aggressives und "schlaues" Verhalten zum Rudelführer aufsteigen. Der "Lohn" dafür ist, sich mit dem Alphaweibchen paaren zu dürfen. Das Alphapaar  ist aber  immer in Gefahr seine Position zu verlieren und muss deshalb aggressiv und gewaltsam gegen Rudelmitglieder vorgehen.

Daraus wurde nun geschlossen: der Hund verhält sich im "Mensch-Hund-Rudel" wie sein naher Verwandter, der  Wolf. Tat der Hund nicht das,  was sein Mensch wollte, wurde dies als Versuch gesehen, dem Menschen (= Rudelführer) seinen Rang streitig zu machen, um selbst Rudelführer zu werden. Für viele Hundehalter ergab sich damit ein dauernder Kontroll- und "Dominierungs"- zwang:"Wenn ich meinen Hund nicht permanent dominiere, werde ich eines Tages von ihm dominiert."

 

Dass hier ein Missverständnis vorlag, bemerkte man erst rund 30 Jahre später. Man hatte ganz einfach die "falschen" Wolfsrudel beobachtet ! Denn diese Wolfsrudel in Gefangenschaft bestanden aus  einem bunt zusammengewürfelten Haufen, der in eingezäunten Gehegen zwanghaft zusammengehalten wurden. Kein Wolf konnte bei Konflikten das Rudel verlassen. Unter den Wölfen herrschte ein ausgeprägtes Mißtrauen und jedes Rudelmitglied musste sich seine Stellung erkämpfen und diese dann verteidigen. Aggressives Verhalten unter den Wölfen war somit an der Tagesordnung. Diese Beobachtungen führten zu dem oben beschriebenen (falschen) Bild vom Leben eines Wolfsrudels und der daraus abgeleiteten Übertragung auf die Beziehung zwischen Mensch und Hund.

 

Als man in den 1990-er Jahren dazu überging, Wölfe in freier Wildbahn und in ihren natürlichen Rudeln zu beobachten, konnte man etwas völlig anderes sehen. Nun sah man, dass natürliche Wolfsrudel aus Familienverbänden bestehen, in denen das Elternpaar als natürliche Anführer agiert. Die Jungtiere unterstützen die Eltern bei der Jagd und bei der Aufzucht der neuen Welpen. Sie verlassen das Rudel erst mit ca. 2 Jahren, manchmal bleiben sie aber auch lebenslang im Familienverband.  Das zugrunde liegende Sozialprinzip des Wolfsrudels besteht in gegenseitiger Hilfe und Zusammenarbeit gegründet auf dem Respekt vor der natürlichen Autorität des Elternpaares. In diesen Wolfsrudeln kommt es zwar gelegentlich auch zu Konflikten zwischen den Rudelmitgliedern, allerdings werden diese auf ritualisierte Weise gelöst und nach Beendigung kommt es zum Austausch von Verbundenheits- und Freundschaftsgesten, um den Zusammenhalt des Rudels wieder zu stärken.

(Das Sozialverhalten innerhalb eines Rudels ist aber strikt zu trennen vom Sozialverhalten zwischen zwei Wolfsrudeln. Hier kann es zu tödlichen Kämpfen kommen, da es um Überlebensfragen für die einzelnen Rudel geht, z.B. wer welche Gebietsansprüche hat etc.)

 

Wenn also Zusammenarbeit und natürliche Autorität die innere Sozialstruktur eines Wolfsrudels bestimmen, sollte dies auch für das Sozialgefüge Mensch-Hund gelten. Allerdings ist es wenig hilfreich, vom Menschen als "Rudelführer" zu sprechen. Es liegt auf der Hand, dass der Hund den Menschen nicht als einen weiteren Hund betrachtet. Deshalb ist es sinnvoll, den Menschen eher als Leitfigur oder Vorbild zu sehen, der dem Hund vorgibt, welches Verhalten er von ihm erwartet. Und hier wären dann die entscheidenden Verhaltensweisen: Zusammenarbeit, elterliche Autorität, gegenseitiger Respekt, häufige Verbundenheits- und Zuneigungsgesten, nachahmenswertes  Führungsverhalten ...

 

Ob sich aber die Erkenntnisse aus der Wolfsforschung nun überhaupt so ohne weiteres auf den Hund übertragen lassen, ist aus folgenden Gründen aber eher zweifelhaft.

 

Erstens mussten die  frühen "Hunde" eine gewisse "Zahmheit" gezeigt haben, so dass die damaligen Menschen ihre Nähe duldeten  (man nimmt gewisse Gehirnveränderungen bei diesen "zahmen Wölfen" an). Die heutigen Wölfe wären dann die Nachkommen der früheren "wilden" Wölfe und die heutigen Haushunde wären Nachkommen der früheren "zahmen" Wölfe. Es bestünde also von Anfang an ein Unterschied im Verhalten der jeweiligen "Urahnen".

 

Zweitens stellten sich sehr früh physiologische Veränderungen ein: es muss sich bei den frühen "Hunden" sehr bald und sehr schnell ein grundlegender Wandel im Stoffwechsel vollzogen haben, damit sie von ihrer neuen Hauptnahrungsquelle, den landwirtschaftlichen Abfällen z.B. Getreide, leben konnten. Dieser Stoffwechselwandel kann auch das sonstige Verhalten der frühen Hunde entscheidend verändert haben. 

 

Drittens und am wichtigsten: der heutige Hund hat in den letzten 20,000 bis 30,000 Jahren durch seine Domestizierung und die damit verbundene enge Partnerschaft mit dem Menschen sehr viele seiner wolfsähnlichen Merkmale verloren. Für Markus Bathen, Wolfsexperte des NABU, ist der Hund "eher ein Mensch im Hundefell als ein Wolf im Hundefell."

 

Fraglich bleibt also, welchen Beitrag die Wolfsforschung überhaupt für das Verständnis des heutigen Hundes leisten kann.

 

Deshalb ist es sinnvoll, für hundliches Verhalten Erklärungsmodelle zu finden, die sich auch direkt aus dem beobachtbaren Verhalten des Haushundes ableiten lassen.

 

                       Erziehung als "Strategisches Spiel"

Ein interessanter Erklärungsversuch für Hundeverhalten in Konfliktfällen ist das Modell des" Potentials der  Ressourcenerlangung" (John Bradshaw).

 

Danach treffen Hunde im Falle eines Konfliktes ihre Entscheidung anhand von drei (bzw. vier) Einschätzungen:

 

1. Wie sehr möchte ich die Ressource (Nahrung, Spielzeug, Zuwendung etc.) 

2. Wie sehr will mein Kontrahent diese Ressource ?

3. Wie schätze ich meine Chancen im Falle einer Auseinandersetzung ein ?

 

Diese Vorgehensweise gibt Hunden die Möglichkeit,  durch Drohgebärden, Imponiergehabe etc.  die Motivation ihres Gegners erst einmal zu "testen", ehe sie sich ernsthaft in einen Konflikt  begeben. Somit  kann ein "begabter" Hund evt. durch gute Schauspielerei und Bluff zu seinem Ziel gelangen, ohne sich in eine riskante Auseinandersetzung mit einem Rivalen begeben zu müssen.

 

Oft treffen Hunde nach dieser "ersten Runde" noch noch eine wichtige vierte Einschätzung:

 

4. Gibt mir mein Kontrahent sehr deutlich und ernsthaft, zu verstehen, dass er sich die Ressource nicht nehmen lassen wird, lohnt sich die Auseinandersetzung darüber nicht.

 

Diese Regel wäre eine Antwort auf die Frage, warum sich in einer bestimmten Situationen auch körperlich kleinere Hunde gegen stärkere Artgenossen durchsetzen können. Offensichtlich zählt hier mehr die innere Einstellung, der Mut und die Entschlossenheit (des kleineren Hundes) als das äußere Erscheinungsbild (des großen Hundes).

 

Wenn dieses Modell  zutrifft, dann ist aggressives Verhalten bei normalen Haushunden eher die Ausnahme als die Regel. Hunde verfügen vielmehr über eine Vielzahl von wesentlich subtileren Methoden, um an ihr Ziel zu gelangen. Effektive Hundeerziehung hätte somit sehr viel mehr damit zu tun, die Taktik eines Hundes zur Erlangung eines Zieles zu durchschauen und mit einer schlauen Gegenstrategie zu antworten - analog zu einem Spiel, in dem der Klügere gewinnt. Es könnte durchaus sein, dass man damit wesentlich mehr "Bewunderung" und "Achtung" von Seiten seines Hundes erlangt, als wenn man mit aversiven Mitteln arbeitet - vom Spaßfaktor ganz zu schweigen. Wenn man Hundeerziehung also vorwiegend unter dem Gesichtspunkt eines Spiels sieht, in dem die vom Menschen gesetzten Spielregeln einzuhalten sind, wird dies sicher auch  Auswirkungen auf die innere Einstellung zum Hund haben. Man könnte dann z.B. eine Einteilung in Regelverletzungen analog zur gelben und roten Karte im Fußball treffen und diese mit entsprechenden Sanktionen belegen.

 

                   Überlegung des Hundes ;-) beim Rückruf

Man könnte nun die obigen Entscheidungskriterien auch auf ein bestimmtes erlerntes Verhalten des Hundes anwenden  z.B. den Rückruf aus dem Spiel mit einem anderem Hund. Folgende Überlegungen könnte ein Hund dabei anstellen:

 

1. Was ist attraktiver -  mein Mensch oder das Spiel mit meinem Artgenossen ?

Hier kommt es zum einen auf den Grad der Zuneigung zwischen Mensch und Hund und auf die gegenseitige Bindung an , zum anderen aber auch auf die Erwartung etwas "Wertvolles" zu erhalten, z.B. ein tolles Futter, ein Spiel o.ä. 

 

2.  Wie sehr will mein Mensch, dass ich das von ihm gewollte Verhalten zeige ?,

Hier ist von Bedeutung, wie ernsthaft und deutlich der Mensch seine Signale vermittelt, also Stimme und Körpersprache.

 

3. Wie schätze ich meine Chancen ein, den Rückruf ignorieren zu können ?

Hier ist wichtig, dass dem Hund langfristig die Erfahrung vermittelt wurde, dass ein Rückruf immer durchgesetzt werden kann (z.B. durch konsequentes Schleppleinentraining).

 

Möchte ein Hundehalter also seinen Hund mit sehr hoher Erfolgsquote zurückrufen, müssen mindestens die folgenden Bedingungen erfüllt sein:

  • Zwischen Mensch und Hund besteht eine große gegenseitige Zuneigung und Bindung.
  • Der Mensch lädt seinen "Wert" immer wieder durch  "Futter", "Spiel" und "Lob" auf.
  • Die Stimme und Körpersprache des Menschen übermitteln dem Hund ernsthafte und  eindeutige Signale.
  • Das gewünschte Verhalten konnte so oft durchgesetzt werden, dass dies für den Hund zum Normalfall wurde.         

                                 

                                                                                                            K.Heinemann 2013                                                                                            

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

            

 

 

 

 

 

 

 

 

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